Profiübersetzer lesen in ihrer Freizeit gerne auch Übersetzungen, um zu sehen, wie Berufskollegen die kleinen und großen Hürden des Metiers gemeistert haben.
Übersetzer als Leser
Beim Lesen des jüngsten Werkes von Günter Grass stellt sich diese Frage dagegen andersherum. Wie soll man solch ein Buch überhaupt übersetzen? Der Autor selbst nannte es sogar ein unübersetzbares Werk, forderte aber dann später bei einem Treffen mit seinen Übersetzern im Europäischen Übersetzerkollegium von Straelen diese auf, selbst literarisch tätig zu werden.
Von A bis Z
„Grimms Wörter“ ist eine Hommage an die deutsche Sprache. Wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, sind die Ereignisse aus dem Leben der Brüder Grimm, verwoben mit Ereignissen aus dem Leben von Günter Grass. Den Takt geben die alphabetisch geordneten Buchstaben. Immer findet der Autor die inhaltlich und buchstabenmäßig passenden Worte zur Chronologie und flicht natürlich auch seine eigenen prägnanten Wortschöpfungen ein. Hinzu kommen noch Gedichte, die sich aus vielen mit dem gleichen Buchstaben beginnenden Worten zusammensetzen. Aber nie wird dieses Grundmuster langweilig, sondern immer spannungsvoll verändert und abgewandelt.
Von Anfang bis Zettelkram
Wie soll man also ein solches Werk übersetzen? Überträgt man die historischen Daten, den reinen Inhalt, geht die Sprache, das Lebenselixier der Literatur verloren. Findet man sprachliche Übertragungen für die einzelnen Worte entlang ihrer alphabetischen Reihenfolge, geht der Sinn, der Zusammenhang verloren und schweben die Worte wahllos im Raum.
Übersetzer als Koautor
Daher scheint der Auftrag des großen Autors nur allzu schlüssig, vom Übersetzer zum Koautor zu werden, sich in das Werk einzufühlen und es quasi neu zu schreiben. Aber wer traut sich, in solch große Fußstapfen zu treten?